Panettone für Dummies

Ruhe war nie…

Der erste Einstufen-Traditions-Panettone ever!

Solange dieses Getriebensein nicht als Flucht oder Fahrigkeit begriffen wird, sondern eher als Impetus, als Stachel im Fleisch, Neues zu entdecken, mag die kleine, eigene Welt in Ordnung sein. Doch der Grat ist schmal. Die Gefahr des Abrutschens ins Zuviel wollen, sich an großen Zielen zu verschlucken ist immer greifbar. Oder auch nur die Konzentration auf das Wesentliche zu verlieren.

Das Schreiben fehlt mir, es ist eine Konzentrationsübung- ein Gedankenspiel, das hilft, Dinge zusammenzuführen und in eine für mich richtige Abfolge zu bringen. Dabei auf die passende Betonung, Gewichtung zu achten, erhöht den Grad der Komplexität.

Lassen wir diese Zeilen für heute im Raum stehen und wenden uns Eva zu, der Entdeckung einer neuen Sauerteig-Welt.

Unsere deutschen Umgebungstemperaturen lassen ohne größeren Aufwand und nur bedingt eine zuverlässige Roggensauerteigkultur zu. Selbst dieser gutmütige Roggensauer unterliegt Jahreszeitlichen Qualitätsschwankungen und einer gewissen Laune ob seiner Arbeitswilligkeit.

Deutlich schwieriger wird dann die Zucht einer eigenen Madre- die Disziplin, die eigene Kultur nach einem Ansatz durch regelmäßige, engmaschige Fütterungen und auch sonst gleichbleibende Kulturbedingungen bei bester Gesundheit zu halten, bringen nur die wenigsten auf. Und gerade Weizen”sauer”kulturen verlangen deutlich mehr Aufmerksamkeit und Expertise als Roggensauerkulturen.

Dieses Wissen ist dann gefragt, wenn man bäckerhefefrei arbeiten möchte- ein hoher Anspruch, dem sich inzwischen viele ambitionierte Hobbybäcker stellen.

Brote mit der eigenen Zucht getrieben verzeihen keine Fehler, Dinge die man mit Bäckerhefe ausbügeln oder zumindest abschwächen könnte. Auf einen weiteren Vorteil muß man mit der Hefefreiheit verzichten: die gute Berechenbarkeit der Garezeiten- letztendlich die Zuverlässigkeit der Aussage: Um 18 Uhr ist das Brot aus dem Ofen!

Belohnt wird man dafür mit Gebäcken neuer, bislang nicht gekannter Qualitäten, Aromen, Düfte.

Ich habe mittlerweile die Zucht eigener Madre so oft begonnen, wie andere Leute versuchen, das Rauchen aufzugeben. Geblieben ist mir ein gewisser Pragmatismus:

Ein frz. Landbrot funktioniert auch mit einem milden Roggensauer-ASG sehr gut, dabei ist sogar ein 5 Promille-Anteil Bäckerhefe geschmacklich unschädlich und dem Mundgefühl förderlich.

Der HiEnd-Anspruch im Weizensauer-Bereich ist und bleibt die Panettone-Bäckerei.

Um echten, klassischen Panettone mit der eigenen Kultur zu zaubern, sind einige Verrenkungen, knowhow und viel Zeit notwendig- den eigenen Ergebnissen würde ich in Schulnoten maximal ein gewurmtes “Befriedigend” geben- also weitab jeden Qualitätsanspruchs.

Mit der Trockenmadre-Kultur “Eva” ist allerdings ein neues Zeitalter angebrochen. Ich bin so sehr zufrieden mit den eigenen Ergebnissen, dass nach Monaten wieder ein Artikel auf “Schellikocht” erscheint, erscheinen muss.

Klar provoziert der Titel dieses Posts! -Mit diesem Beitrag möchte ich dem Panettone die Angstgegnerschaft nehmen, die er traditionell in den Köpfen der meisten Leser besitzt.

WICHTIGE Prinzipien im Umgang mit “Eva”

-Reifezeit: 12 bis 15h

-Reifetemperatur: ca.25°C

-TA 150-160

-die “Versäuerung” oder besser: der Bigaanteil im Hauptteig sollte hoch gewählt werden, 30 bis 50%

– beginnen würde ich bei Standardrezepten mit 50%,  hier bei dem ersten veröffentlichten Rezept für klassischen Panettone reichen 30%

-wir greifen auf das Schaumsauer-Verfahren zurück, ein Hinweis von einem der größten Tüftler unter der Sonne, meinem Freund Michael

-max. 36h reichen zuverlässig aus, um Qualitätspanettone, die einfach hergestellt werden können und meinen Ansprüchen vollumfänglich genügen, mich sogar euphorisch stimmen, aus dem Ofen zu ziehen.

Rezept 

36h-Panettone, klassisch

Vorbereitung Eva/Madre für 7 kleine (9cmx9cm) Panettoneformen, TE 250g

80g Wasser
16g Eva
160g Tipo 0 orange

homogen verkneten, TT25°C,  abgedeckt 12 bis 15h bei 25°C reifen lassen

Das Rezept ist entstanden in Anlehnung an das famose Mini Panettone-Rezept von Didi, quasi eine Optimierung auf Eva. 

Vorteig:

240g Eva-Ansatz
200g Wasser 30°C
400g Tipo 0 violett
100g Rohrzucker
80g Dotter (4Stk)
150g weiche Butter (wer vergessen hat, sie aus dem Kühlschrank zu nehmen: Handarbeit ist gefragt, Butter zerteilen und mit der Hand grob einkneten)

Herstellung:

200g Wasser mit dem Eva-Ansatz 10 Minuten mischen (Schaumsauer-Verfahren!)

Tipo 0 violett und Rohrzucker homogen verkneten,

Dotter nach und nach einkneten

150g g weiche Butter hinzugeben und so lange mischen bis sie vollständig untergeknetet ist.

Bei 25-28°C 4-5 Stunden reifen lassen.

Zutaten für den Hauptteig:

1170g reifer Vorteig
230g weiche Butter
150g Tipo 0 violett
100g Rohrzucker
80g Dotter (4 Stk.)
60g Wasser 30°C
20g Honig
4g Salz
      + Orangenabrieb /Zitronenabrieb

Herstellung:

-Vorteig, Mehl, Aromen langsam 5 – 7 Minuten mischen.

– Rohrzucker, Honig und Salz hinzugeben, vollständig vermischen

danach die Dotter langsam bis zur Homogenität unterkneten

Butter langsam unterkneten,

Wasser schluckweise unterkneten, Fenstertest! feinster Panettoneteig ist entstanden!

30min Teigruhe

Arbeitsfläche: Edelstahl oder Kunststoff eignen sich am besten, jedenfalls wird die Arbeitsoberfläche mit einem möglichst geschmacksneutralen Öl eingerieben.

250g Teiglinge abstechen, aufgearbeitet wird -das ist neu und wichtig!- nach derBertinet-Methode (slap & fold ab 1min 40).

Dadurch bekommen die Teiglinge den letzten Schliff, eine finale Gluten-Optimierung und die passende Oberflächenspannung. Die perfekte Porung gibt es als Dankesgeschenk für die Befolgung dieses Tipps. 

Abschliessend, um sie unfallfrei in die Formen bugsieren zu können, auf der Arbeitsfläche mit den Händen zur Kugel straffen.

Direkt nach Aufarbeitung kommen die Teiglinge in kleine (9×9) Panettoneformen. Auch wenn einen jetzt zum x-ten Male der Mut verlässt ob dieses kleinen Teighäufchens in der Form- weitermachen!

Es ist nie zuwenig, was genügt. (nicht von mir, sondern von irgendeinem großen Philosophen)

Abdecken, anspringen lassen, ca. 30min. Dann bei 12-14°C für 8h Teigreife. Kann durch höhere Temperaturen deutlich beschleunigt werden, passte so aber am besten in meinen Arbeitsablauf.

Wenn das Teigvolumen etwa die Hälfte bis 60% der Form ausfüllt, können die Panettone in den Ofen-auf den Ofentrieb ist Verlaß.

Einschneiden: Schere in Öl tauchen und über Kreuz etwa 1cm tief einschneiden, in die Schnitte ca. 5g Butter legen, um den Ausbund an definierter Stelle zu bekommen.

Bei 170°C Umluft auf Kerntemperatur 95°C backen.

Vorsicht!

Diese Miststücke sind so fragil, dass sie kopfüber auskühlen möchten, um nicht zusammenzusacken.

Schellis Urteil:

Ein Traum in gelb. Wintermärchen. Und ein würdiger Nachfolger, gar eine Steigerung des Prinzessinnen-Brioches. Mir ist nie ein feineres Gebäck über den Weg gelaufen. Wer es einmal versucht hat, geht nie wieder zurück. Auf ein geringeres Qualitätslevel. Und wird die eigene Madre würdig und mit einer halben Träne für die vielen Mühen beerdigen. Das Rezept ist 3x in Folge angesetzt worden und hat zuverlässig funktioniert-deshalb: Glück auf! Die Photos sind allerdings von 3 Tage altem Gebäck…keine Zeit, für Eitelkeiten. Die Volumenentwicklung spricht für exakte Glutenentwicklung, Teigbearbeitung, Feuchtegehalt und gute Funktion der Madre.

Stolzgeschwellte Schellibrust. Hoffentlich hält  dieses Gefühl ohne weiteren Drogenkonsum an…

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