Unter Bäckern: ein Getriebener

Handwerkskunst pflegen: Sauerteige

Erich Kasses ist -im besten Sinne- ein Getriebener.

Er ist ein hochdekorierter, erfolgreicher Bäckermeister in der Mitte Europas und am Arsch der Welt. In Thaya, im Waldviertel in Österreich.

Eins mit sich und seinem Beruf. Voller Inbrunst und Demut, wach, phantasievoll, experimentierfreudig.

Jemand , den ich als Vorgesetzten und Vorbild akzeptieren könnte.

Heute soll es allein um Sauerteige gehen, den achtsamen Umgang mit den sensiblen Kulturen.

Dabei gebe ich Gehörtes beschreibend wieder und bemühe mich, nicht zu werten, meinen eigenen Hintergrund/ eigene Erfahrungen aussen vor lassend.

Der Meister pflegt über 30 verschiedene Sauerteigkulturen, die aus zwei Linien, einer lieblichen: Laura und einer strengen: Leni hervorgegangen sind. Sie werden regelmäßig täglich 3x gefüttert, augenzwinkernd:  Sonntags allerdings sei Familientag- dafür hätten die Kulturen Verständnis, schließlich könne man mit ihnen  reden, bekommen sie nur 2x tgl. frische Nahrung.

Die Kulturen unterscheiden sich in

-ihrer Vorliebe für bestimmte Nahrung: welcher Roggen: hier wird v.A. zwischen zwei Sorten unterschieden: dichter, dunkler, kleinwüchsiger waldviertler Roggen und großkörniger, milder, schnellwüchsiger, heller, sibirischer Roggen,

-ihrer Säurebildung (von welcher: Milchsäure, Essigsäure, in welchem Verhältnis, in welcher Menge: Säuretoleranz)

  • -wie stark ausgemahlen ist das Mehl
  • -Stoffwechselrate/Triebkraft: wieviel Blubber ist wie schnell zu sehen?
  • dem Aroma: Aromaprofil, streng-mild

Kultur- Temperaturen und TA sind einheitlich.

Die Kulturen werden in eigens dafür gefertigten Lärchenfässern gepflegt. Das gebe zwar dauernd Diskussionen mit dem Gewerbeamt, das Ergebnis jedoch sei so überzeugend, dass Herr Kasses sich diesem Übel stellt.

Übrigens sei unbehandeltes Mehl, Mehl ohne Zusätze Mangelware, müsse extra bestellt und teurer bezahlt werden als das Standardmehl.

Schon das allgegenwärtige Vitamin C (Ascorbinsäure) verhindere das Backen einer anständigen Panettone. Deshalb führt der Meister das Mehl dafür aus Italien ein.

Seine Brote sind häufig gewürzt, haben ein volles, starkes, säuerliches Aroma.

Die riesige Auswahl an Broten (über 130 verschiedene Sorten täglich in einem mittleren Handwerksbetrieb!) variiert neben den verschiedenen Mehlsorten und -anteilen in Säuregrad, Porung, Helligkeit des Mehles, Aroma, Gewürzmischung…

Herr Kasses verwendet übrigens kein Salz, sondern Sole, um die Teige zu salzen. Ich würde das Ergebnis als würzig-salzig beschreiben. Jedenfalls genial. Nachmachen!

Übrigens hat er vier seiner Sauerteige mitgebracht und mir nach der Veranstaltung freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

  • Leni (hell, kräftig sauer)
  • Schwarzroggen (dunkel, kräftig)
  • Bio (Schrot)
  • Sauerteig (m.E. die stabilste und aktivste)

Interessierten stelle ich die eine oder andere Kulture gern -mit der Bitte um einen Dreizeiler als Erfahrungsbericht-  zur Verfügung.

Das  folgende Brotrezept ist der eigenen Neugier geschuldet:

Wie passt ein grobporiges Roggenbrot zu den eigenen Erwartungen?

Wie sieht die Porung aus, wenn ich  einen hohen Schrotanteil mit meinem Lieblingsweizen (812er Adler, Bahlingen) mische?

Und die Fenchel-Sole-Kombination wollte ich nach dem Kasses-Seminar unbedingt wiederhaben.

Österreichisches Fenchel-Roggenschrotmischbrot

Sauerteig

  • 15og Roggenschrot
  • 150 g Wasser
  • 10 g Anstellgut Leni

Brühstück

  • 150 g 5-Korn-Schrot (mittel)
  • 10 g Fenchelsamen
  • 160 g Wasser

Hauptteig

  • 150  Weizenmehl 812er
  • 70 g Sole: Wasser mit 15 g Bergsalz aus Bad Ischgl gelöst
  • 10 g Frischhefe
  • Brühstück
  • Sauerteig

Die Sauerteigzutaten mischen und 16 h bei 25°C reifen lassen. Fenchelsamen und  5-Korn-Schrot mit kochendem Wasser übergießen: Brühstück. Übernacht quellen/auskühlen lassen.

Hauptteigzutaten 10 Minuten  verkneten (Teigtemperatur ca. 28°C). 30 Minuten ruhen lassen. In eine gefettete Kastenform geben, mit nassen Händen die Oberfläche glätten.  60 Minuten bei 28°C gehen lassen. Von 250°C auf 210°C fallend 60min backen. Das Brot aus der Form nehmen und weitere 15 Minuten fertig backen.

Ergebnis:

Knusprige Kruste, feuchte, glänzende, für Roggenbrot grobporige Krume. Deutlicher Brotfehler: grosser Hohlraum im oberen Drittel, 3cmx2cmx10cm. Ist bei mir seit Jahren das erste mal in dieser Form aufgetreten. Wenn jemand Rat weiß, wäre ich für einen Tipp dankbar.

Im Vergleich zu Kasses Österreichsieger-Brot (Eingangsbild) hier deutlich weniger Säure.

Das Salzen mit Sole würde ich eher als Würzen bezeichnen. Das Brot bekommt einen deutlich runderen, angenehmeren Geschmack. In Kombination mit dem Fenchel mit hohem Suchtpotential. Erklärung für das unterschiedliche Salzaroma: in der verwendeten Sole hat das scharf-salzige Kochsalz (NaCl) einen deutlich geringeren Anteil,ca. 80%. Die Abrundung erfährt die Sole m.E. durch eine als harmonisch wahrgenommene Ergänzung mit vielen anderen Salzen.

Meister Kasses arbeitet mit verschiedenen Roggensorten. Der Waldviertler (links) ist deutlich kleinwüchsiger, dunkler, aromatischer als der Sibirische (rechts/wenn er im Waldviertel wächst).

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