Eine befreundete Müllerin bat mich um eine Rezeptalternative für ein recht beliebtes Bäcker-Tütenbrot:
Tüte auf, Wasser drauf, mischen, formen, backen…also ein Bypass für ein Prinzip, des deutschen Bäckers liebstes Kind und seinen Genickbruch. Das König-Ludwig.
Seit etwa 10 Wochen bastele ich an diesem Rezept…und lerne dabei mehr über meine Vorbehalte bzgl. allgemeiner Gütevorstellungen von Brot als über den Backprozess.
Es geht in der Aufgabenstellung eben nicht darum, das ein schelli seine Qualitätsvorstellungen verwirklicht, sondern dass ein Bäcker ein dem K-L-Brot ähnliches, sauberes Produkt möglichst günstig kalkuliert auf den Tresen bringen kann. Allein dieser Schritt bestimmte die Dauer der Arbeit.
Und deshalb gibt es 2 Rezepte zum Thema:
ein geschmacksoptimiertes
und
ein arbeitsoptimiertes.
Um überhaupt zu wissen, wohin die Reise gehen soll, mussten Geschmacksproben her:
-in Bäckereien hab’ ich lange und vergeblich gesucht
-die Original-Backmischung besorgt und nach Anleitung Brot gebacken: schnell gemacht.
-der Freundeskreis (Namen werden zu m Schutz der Personen nicht genannt) besorgte den Original-“Waschzettel”, die Zutatenliste mit Arbeitsanleitung
Irgendwann konnte ich doch noch ein Exemplar aus einer Bäckerei erstehen.
Einen Vergleich der Brote findet ihr unter “Schellis Urteil”
Die Industrie lernt sehr schnell:
die Grundlagen, mit denen man schon fast den Sieg bei der geschmacklichen Beurteilung eines Lebensmittels einfahren kann:
Verhältnis Süße-Säure-Salzgehalt-Bitternis, vielleicht noch ein komplexes, passendes Mundgefühl über die Verweildauer im Mund plus ansprechendem Aussehen werden zuverlässig passend und auf hohem Niveau getroffen. Dadurch, dass die Aromen häufig noch von aussen zugesetzt werden, tote Sauerteigkulturen als Geschmacksträger dienen, wird das Ergebnis für den aufmerksamen Schmecker schnell dumpf, fad, uninteressant.
Was (noch) fehlt, ist das feine Zwischenspiel, die Vielfalt der Aromen, die dich umhaut, wenn gekonnt gekocht, gebacken, gewinzert (nicht: geweint) wird.
Geht der Bäcker den beschwerlichen Weg, Aromen ins Brot zu bringen, ist er dem Winzer näher als dem Koch:
Er läßt seine Sauerteig-Kulturen an das Mehl, sie entwickeln (zusammen mit knowhow u.dem richtigen Mehl) Geschmack wie die Hefekulturen des Winzers im Spiel mit den Trauben dem Wein das Glück auf der Zunge einhauchen.
Zurück zum Ausgang:
Ein Industriebrot nachzubauen und den Anspruch auf Aromen von innen heraus nicht aufzugeben, dabei das Mundgefühl von Krume und Kruste nicht zu vernachlässigen…ist eine Herausforderung, die mit einem einfachen Mehl-Wasser-Hefe-Salzgemisch nicht adäquat/auf die Schnelle beantwortet werden kann.
Mit anderen Worten: Wir müssen tief in die Trickkiste greifen!
Dafür spielt das gewonnene Brot in einer anderen Klasse.
Extraordinaire.
Hier kommt August der Starke-oder wäre euch Prinzessin Monika als Antwort auf König Ludwig lieber?
5% Kochstück TA400
5% Roggen- Aromastück TA300
10% Tipo 0 (violett!)
25%Monheimer Salzsauer TA200 (mit 1370er)
30% Dinkelvollkornmehl als Biga (TA150)
25% Alpenroggen, für Liebhaber hellerer, leichterer Brote: 997er Roggen oder österreichisches R960er Mehl.
5% Vollmilch
2,2%Salz
Teigtemperatur: 28 bis 30°C
Backen: bei mir als Angeschobenes im Topf mit 250°C fallend auf 220°C.
Jetzt in Gramm:
für 2 Brote von insgesamt rd. 1,7kg
-50g 550er Weizen mit 150g Wasser verrühren und zu Pudding kochen (Abdecken, um Hautbildung
zu vermeiden!)
-50g Alpenroggen mit (3g aktivem Malz und) 100g Wasser auf 65 bis 70°C bringen, 3h Temperatur halten/vor Austrocknung schützen!
– 100g sehr kleberstarkes Weizenmehl (Tipo0 violett)
– 500g Monheimer Salzsauer, reif (15 bis 30h alt)
-300g Dinkelvollkornmehl mit 150g Wasser, 20°C und 2g Hefe mischen, abgedeckt bei Zimmertemperatur für 12 Stunden reifen lassen, nach 12h in den Kühlschrank, dann ist der Vorteig auch am Folgetag noch arbeitsfähig.
250g Alpenroggen
50g Vollmilch
22g Salz
wenn der Bäcker unsicher ist, noch 1% Hefe.
Damit fährt er aber die Qualität des Brotes deutlich ‚runter.
Gute Sauerteigkulturen können das alleine.
Zugegeben, mein bislang kompliziertestes Brot.
Mein schärfster und wahrscheinlich ehrlichster Kritiker stuft es unter die Top 3 der Schelli-Brote. Nein-nicht der Labrador. Der ist immer mein Freund und meinen Broten gegenüber eher unkritisch.
Version 2-der einfache K-L-B-Nachbau:
Prozentangaben immer Mehl auf Mehl berechnet!
40%Roggensauerteig, 1x aufgefrischt, TA200
20% Roggen Typ 997
40% Dinkelvollkornmehl
235g Vollmilch, 25°C
2,2%Salz
2%Rübensirup
2% Frischhefe
1% aktives Malz
in Gramm auf 1kg Mehl:
Sauerteig:
400g Wasser, 33°C
400g Alpenroggen
100g aufgefrischtes, 12h altes Anstellgut
vermischen, 4h bei 30°C stehen lassen.
den reifen Sauerteig (800g) mit
200g 997er Roggen
400g Dinkel-Vollkornmehl
235g Vollmilch
22g Salz
20g Rübensirup
20g Frischhefe
10g aktivem Gerstenmalz
vermischen, weiteres Vorgehen wie unten beschrieben.
TT24°C, 7min langsam verkneten, 15min Kesselruhe, aufarbeiten, 750g Teiglinge nach 30 bis 45min Gare im Gärkörbchen bei 250°C fallend auf 220°C backen.
Schellis Urteil:
- das Geschmacksoptimierte:
Ein excellentes Brot mit weicher, saftiger Krume, ganz leichter Süße, malzig durch Milch und Malz (Aroma-)Stück. Wiederum durch Malzstück und Milch eine knusprige Kruste. Wegen des Monheimer Salzsauers eine hintergründige, ausgewogene Milchsäure schmeckbar. Lange Frischhaltung wg. Kochstück und Tipo0!
Dinkel-Biga und fast vollständiger Verzicht auf Hefe bringt lang anhaltendes, typisches Dinkelaroma und excellente Verträglichkeit ins Brot.
Sehr saubere, klare Aromen!
JEDE einzelne Komponente im Rezept ist wichtig!
Mit etwas Aufwand könnte man es auch hefefrei machen, dazu müsste der Biga mit einem sehr milden Weizensauer (Madre) angesetzt werden.
Per Definitionem dann kein Biga mehr (sondern ein Vorteig aus der Sauerteig-Familie), dennoch mit seinen seinen wesentlichen Eigenschaften.
Und nu:
Tut mir Leid -ihr seid einem Scharlatan aufgesessen, der meinte, seine eigenen Vorstellungen in ein Brot bringen zu müssen, das Hunderttausenden schmeckt.
2. K-L-B-Nachbau
hierging es in erster Linie nicht darum, ein gutes Brot zu backen, sondern möglichst nah am Originalzu bleiben.
Diese (alternative) Version verzeiht Fehler:
die Hefe bügelt in ihrer Triebhaftigkeit aus, was der Sauerteig nicht schafft. In großer Not lässt sich auch ein toter Tütensauer aus dem Öko- oder Reformhaus verarbeiten.
Hier findet man ein sanftes, wattiges, leicht süsslich-malziges Roggen-Dinkel-Sauerteigbrot, das sein Dinkelaroma gegenüber dem eher hellen (und deshalb nicht so geschmacksdominierenden) Roggen verteidigt und gut mit der Schüttflüssigkeits-Milch harmoniert. Beim K-L-B-Nachbau wurde für die einfache Verarbeitung auf erhöhte Teigfestigkeit geachtet.
Das Brot schmeckt angenehm und hat besonders für Anfangsbäcker seine Berechtigung. Kinder werden es mögen. Persönliche Priorisierung:
- Platz: Prinzessin-Monika-Brot
- Platz: K-L-B-Quickie
- original K-L-B aus der Bäckerei.
Die Qualität der eigenen Roggensauerteigkultur richtet auch bei diesem Brot über Wohl und Wehe!
Weil mit den gewählten Zutaten bei gleicher Handhabung die Brote sich auch im Aussehen ähneln, gibt’s eine Auswahl beliebiger Photos aus der Reihe, immer als Angeschobene gebacken-so bekomme ich die größte Brotmenge pro Zeit aus dem Ofen.
Krume/Kruste/Ausbackgrad/Wildheit der Porung bestimmt der Bäcker durch die individuelle Aufarbeitung.