Vorteige sind wertbestimmende Bestandteile des Brotes!
Man kann verschiedene Arten von Vorteigen unterscheiden:
1. Vorteige durch Quellen von Rohstoffen
2. Vorteige zur Verstärkung von Aromen
3. Vorteige zur Versäuerung.
Grundsätzlich gilt: in Vorteigen werden formerhaltende. strukturgebende Elemente unterschiedlich stark abgebaut. Je mehr Temperatur, Zeit, Mikroorganismen (Sauerteige, Hefen) im Spiel sind, desto stärker ist der Abbau. Andererseits: desto mehr Geschmack kommt ins Brot, auch wenn das Mundgefühl leidet.
Je größer der Anteil der Vorteige, desto größer das Risiko, mit der gewünschten Brotform zu scheitern.
Schwere Roggenbrote oder milde, madregeführte Weizenbrote vertragen Versäuerungen von Mehlanteilen bis 50% und darüber.
Das Maß des Teigabbaus zu bestimmen, fehlt uns bislang die Möglichkeit-wir müssen uns mit den eigenen Erfahrungswerten durchwursteln. Ein gutes Mittelmaß für erste eigene Versuche/Erfahrungen ist, nicht wesentlich über 35% des gesamten Mehlanteils durch Abbau in Vorteigen zu zerstören. Extremisten/Grenzgänger/Borderliner/Geschmacksoptimierer kommen auf wesentlich höhere Werte.
Verquollen werden können Ölsaaten, Schrote oder Mehle. Pflanzenfasern (Apfel, Flohsamen, Guarkernmehl, Johannisbrotkernmehl usw.) nehmen tw. das vielfache Eigengewicht an Wasser auf, können Geschmack und/oder Darmtätigkeit beeinflussen
Ölsaaten nehmen wegen ihres teilweise hohen Fettgehaltes regelmäßig weniger Wasser auf als Schrote oder Mehle.
Die Wasseraufnahme ist weiterhin abhängig vom bereits bestehenden Wasseranteil. Der Prozess der Verquellung kann sich über viele Stunden hinziehen.
Deshalb ist es wichtig, hier auch über Hygieneaspekte zu sprechen:
Das Wachstum unerwünschter oder humanpathogener Keime kann deutlich reduziert werden durch Zugabe von 2% Kochsalz zur Quelllösung oder durch kalt stellen (Kühlschrank)
Quellvorteige werden nicht erhitzt und mit einer TA von 200 (also Verhältnis von Wasser zu Rohstoff eins zu eins) versehen.
Ganze Körner brauchen über 12 Stunden, um durchzuquellen, ganze Dinkelkörner eignen sich nicht zur Verquellung, sie sollten gekocht werden, weil sie sonst hart bleiben. Ist der Kern noch weiß, ist das Wasser nicht vorgedrungen-Brotfehler in Kauf nehmen…oder warten…
Durch Verquellung von Schroten und Mehlen behält das Gebäck die ursprünglichen Aromen der verwendeten Getreidesorten und die strukturbildenden Elemente des Gebäcks werden nicht angegriffen-und die Wasseraufnahme des Teiges wird erhöht. Die Autolyse ist eine Form des Quellvorteiges.
Es gibt noch eine weitere, sehr selten beschriebene Form eines Roggenquellstückes: bei ca. 40°C arbeiten Pentosanasen (Pentose-abbauende Enzyme) am liebsten-wennes sie denn gibt. Wird ein Roggenquellstück über einige Stunden bei dieser Temperatur gehalten, kann zusätzlich Wasser gebunden werden, das (Roggen-!)Brot bekommt ein größeres Volumen und eine wilde, unregelmäßige Porung.
Brühstücke haben oft eine TA von circa 300, es wird also deutlich mehr Wasser gebunden als bei Quellstücken. Sie werden zubereitet, indem man kochendes Wasser mit dem Rohstoff homogen verrührt und für einige Stunden (beim Bäcker häufig 3h) bei sinkender Temperatur abstehen lässt. Je stärker und länger die Hitzeeinwirkung, umso mehr verschwimmt das ursprüngliche Aroma und tritt der Wasserbindungseffekt in den Vordergrund. Auch beginnen die Elemente abgebaut zu werden, die das Gebäck zusammenhalten, eine Formgebung ermöglichen.
Das Malzbrühstück oder Aromastück (für sichere Ergebnisse: 10% des Gesamtmehls vermälzen) ist eine Sonderform unter den Brühvorteigen: Bei ca. 65°C Teigtemperatur wird aktives Gerstenmalz/ein Enzym (-komplex) zugesetzt, der die enthaltene Stärke nach und nach zu Zuckern abbaut: Das Malzbrühstück verändert sich über die Brühzeit in Farbe und Geschmack: es wird dunkler und malzig-süß-aromatisch. Es verhilft den aktuell recht enzymschwachen Roggenmehlen zu einem feinen, unaufdringlichen, malzigen Geschmack, bringt ein größeres Volumen ins Brot.
Weil Brühstücke für den Geschmacksoptimierer nur in den Spezialformen (Pentosanabbau bei 40°C oder Aromastück/mit Malzenzymen(Maltasen bei 65°C) herausragende Ergebnisse bringen, verwende ich dieses Verfahren nur dort.
Für gleichbleibende Ergebnisse ist wichtig, mit gleichen Brühtemperaturen und -zeiten zu arbeiten!
Kochstücke/Kochvorteige
Man denke an einen Pudding ohne Aromen:Stärke wird mit Wasser aufgekocht und verkleistert. Hier bekommen wir die höchste Wasserbindung: Helles Weizen- oder Dinkelmehl wird 1:4 mit kaltem Wasser angerührt und aufgekocht-oder wie klassischer Pudding in wenig kaltem Wasser gelöst und dann unter das kochende Restwasser gerührt. Mit Folie abgedeckt abkühlen lassen, um Verhautung zu vermeiden. Mehr als 5 bis 6% der gesamten Mehlmenge auf diese Art zu binden ist nicht sinnvoll. Eine sehr effektive Art, sein Gebäck (Goldstandard bei Dinkel!) saftig und lange frisch zu halten. Ganze Körner (Roggen, Weizen, Dinkel) nehmen das doppelte ihres Eigengewichtes an Wasser auf (TA300).
Rezept Freiburger Kruste:
(zur Kategorisierung: 75/25 Weizenmisch mit Roggensauertrieb)
Aus der Markthalle 9/Berlin, 17.1.2016, nahm ich am Sonntag eine Menge Vorteigbausteine wieder mit, der Ofenplatz reichte nicht für mehr Experimente.
Angeregt durch Stefanies Wahlbrot in Berlin kam auch die oft unterschätzte Butter als Emulgator zum Einsatz. Prozentangaben: Mehl auf Mehl, Wasser herausgerechnet.
200g Biga T80 (TA150, hier frz. T80, ca.15%)
400g Monheimer Roggensauer (Alpenroggen, 5g Salz, TA200, 20%)
200g Roggenmalz-Brühstück (TA400, 5%)
600g Weizenbrotmehl (hier W1600 Ösimehl, 60%)
260g Wasser
25g Butter
20g Salz
10min langsam, 2min schnell kneten
TT29°C, TA 168, 1h Kesselgare
Schonend vorformen (1 o. 2 Brote) nach 20min in den gewünschte Gärkorb.
Je nach Aktivität der eigenen Sauerteigkultur und TT 1 bis 3h zur Gare stellen, bei 250°C fallend auf 220°C dunkel ausbacken.
Schellis Urteil:
Ja! Wunderbares, kräftiges, geschmackvolles Weizenmischbrot. Das W1600-Ösimehl hat deutlich mehr Charakter als das deutsche W1050, ist trotzdem nicht geschmacksstark wie das frz. T80 bei etwa gleicher Wasseraufnahme. Für mich ein Universalbrot, dessen Kombinationsmöglichkeit von guter Butter mit Fleur de Sel (Best!) über Marmelade zu mildem Käse reicht. Der gutmütige Salzsauer bleibt auch noch 2 Tage nach Ansatz arbeitswillig und die Säure selbst im Weizenmisch ausgeglichen. Der Roggen in der ST-Kultur bringt völlig andere, kräftigere Aromen ins weizenlastige Gebäck.
Die einen saufen sich unter die Erde-bei mir ist es das Brot.