Aromaschelli

Vorab: ich habe keine Drogen genommen.

Okay-jedenfalls nicht zuviel.

Der Artikel erscheint auf vielfachen Wunsch zweier Backextremisten. Beide haben sich dem guten Brotgeschmack verschrieben.

Gemälztes Roggenmehl hat faszinierende Eigenschaften für die Bäckerei. Reichlich Wassereintrag und damit Frischhaltung über lange Zeit ist möglich aber auch ein sehr feines roggenmalziges Aroma mit leichter Süsse braunen Zuckers. das Gebäck wird dunkler und duftig-fruchtiger. Dieser häufig  “Aromastück” genannte Vorteig ist mit den beschriebenen Eigenschaften eine Universalwaffe, er passt sowohl in schwere Roggenschrot -oder,Vollkornbrote als auch in sehr helle Weizen- oder Weizenmischbrote. Anfangs ängstlich bin ich mittlerweile bei Zugaben von bis zu 30% Mehl auf Mehl. Dabei reduziere ich die TA des Aromastücks auf 300, um nicht zuviel Wasser ins Brot zu bringen. Unterschiedliche Roggenmehle zu vermälzen bringt unterschiedliche Ergebnisse im Gebäck.

An dieser Stelle wird ein relativ helles (das österreichische R960) Roggenmehl verwandt. Es wird deutlich süsser als das Malzstück mit Alpenroggen oder RVKM bei gleichen Rahmenbedingungen.

Exkurs Malz in der Bäckerei:

Wir unterscheiden das häufig und in Mengen verwandte nicht enzymaktive Malz (1) vom enzmaktiven oder diastatischen Malz (2). Das erste ist ohne Gefahr für das Gebäck auch in Mengen verwendbar, das zweite ist ein sehr scharfes, effektives Werkzeug, mit dem man leicht dramatische Fehler ins Brot bringt, die nur noch die klammheimliche Entsorgung zulassen.

zu 1:

Durch Hitzeeinwirkung wird Malz inaktiviert und nach Wunsch auch geröstet.

Es dient als Nahrungsmittel für Hefen (die die Maltose besser verarbeiten können als Haushaltszucker) oder als Färbemittel: So werden beim Bäcker Standardteige mit Röstmalz eingefärbt, um ihnen eine “gesunde” dunkle Farbe zu geben. Zusätzlich bleiben Röst-und Malzaromen schmeckbar. Die entstandenen Zucker lassen die Kruste schneller bräunen.

Das Gebäck bekommt ein etwas größeres Volumen.

zu 2:

In dem aktiven Malzmehl ist nicht nur die Maltase, ein Stärke zu Maltose abbauendes Enzym wirksam, sondern auch noch eine Vielzahl anderer. Dadurch kommt es zu unerwünschten Nebeneffekten: Strukturbildner (Gluten) im Brot werden angegriffen: Das Brot kann Form und auch Wasser nicht mehr halten. Dieses Malz steht als Mehl und als Sirup zur Verfügung: Das Mehl ist für den Hobbybäcker noch gefährlicher, weil die glutenabbauende Kraft größer ist. Für mich hat es auch einetwas aufdringliches Aroma. Extremisten bauen sich ihr Malz selbst: Sie lassen Korn keimen und benutzen den gewaschenen, vermahlenen Brei. Trocknung hilft, die Masse länger zu benutzen. Gerstenmalze haben ungefähr die doppelte Kraft/Schnelligkeit von Weizenmalzen: Dosierung beachten! Enzyme besitzen eine Halbwertzeit: Malze altern und werden dadurch leistungsschwächer! Kauft dort, wo ihr sicher seid, frische Ware zu bekommen!

Je länger der (Haupt-)Teig mit dem aktiven Malz steht, desto mehr baut er ab. Mit dem Aromastück gehen wir einen etwas anderen Weg:

Wir suchen uns eine Temperatur (65°C), bei der das gewünschte Enzym sehr gut, alle anderen deutlich schlechter arbeiten. Viele sind auch schon nicht mehr funktionsfähig.

Wenn wir 3% Malz im Aromastück arbeiten lassen, sind es meist nur noch 0,3% im Hauptteig (Verdünnung!)-die Gefahr der Teigzersetzung ist nicht mehr ganz so groß.

Cave: Das Aromastück schmeckt nicht nur unsereinem-ungekühlt max. 24h haltbar, im Kühlschrank 3 Tage. Kann portionsweise eingefroren werden.

Rezept Aromaschelli:

Aromastück/Roggenmalzbrühstück

400g Wasser, kalt
0,6g aktives (diastatisches) Gerstenmalz
200g Roggenmehl R960

homogen Vermischen und auf 65 °C bringen, 3 Stunden vermälzen, Temperatur halten:

der Brei wird dunkler und bekommt ein intensiv süsslich-malziges Aroma

Hauptteig:

(noch ca. 560g) Roggenmalzstück, abgekühlt

800g Tipo0 Weizenmehl
400g Wasser (wer mag, schütte nach und nach noch 100g zusätzlich, Tipo0 verträgt es. merke: nicht der Teig ist zu feucht: du bist zu langsam)
8g Frischhefe
22g Salz

Auskneten: 3min langsam, 10min schnell

TT 23°C

nach 1h Kesselruhe zusammenschlagen (dehnen und falten) und in die Teigwanne

12 bis 24h kühle Teigentwicklung bei 4°C

Um die entwickelte Teigstruktur zu erhalten, vorsichtig auf die bemehlte Arbeitsfläche bringen, für ca. 1h abgedeckt stehen lassen, nach Wunsch aufarbeiten, dabei Teiglingsoberfläche auf Spannung bringen.

ca. 2h bis zur ¾ Gare entwickeln lassen.

45min bei 250°C fallend auf 220°C backen (Kerntemp. 98°C).

Nach 1min schwaden, nach 3min Schwaden abziehen

Schellis Urteil:

relativ einfaches, wunderbar aromatisches Brot mit wenigen Zutaten.

Der Duft der Krume ist die im besten Sinne reifere Schwester eines excellenten trad. frz. Baguettes. Tief fruchtig-süssliche Wahrnehmung. Nie aufdringlich. Im Mundgefühl feucht, mittelfest, noch nicht wattig, auch hier passt der Vergleich mit besten Baguettes. Ein helles Alltagsbrot auf höchstem Niveau. Alltagsbrot deshalb, weil man dessen nicht überdrüssig wird, hohes Niveau, weil alle Aromen natürlich erarbeitet wurden und sich wunderbar komplex zeigen.

Den gewählten Namen vergebe ich nur nach reiflichem Zögern

Ein eher helles 80/20-Weizenmischbrot mit excellenten Zutaten.

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