Heute wird’s anstrengend. Schelli erklärt sich die Welt:
um manchen Lesers Nerven zu schonen, gibt’s vor dem Rezept, unten eine kurze Zusammenfassung der Kernaussagen.
Warum sollte Brot mit der Hauptzutat Mehl nicht Terroir besitzen-komplexe Aromastrukturen, lokal geprägt durch viele Faktoren (Wetter, Boden, Geographie, Anbauart…des Weizens, Roggens, Dinkels…) , wie wir es von Wein oder Käse kennen.
Oder wenigstens eine rasseabhängige (so wie wir Cabernet, Merlot, Lemberger usw. als Rebsorten geniessen) Charakterisierung.
Die Köche haben sich vor einiger Zeit in zwei Lager geteilt:
-die Sattmacher, (manche von denen können auch kochen)
und
-die Künstler (manche von denen können auch kochen)
Weil ein Künstler mehr Ansehen einheimst, versucht sich auch die Sattmacherfraktion im künsteln. Das tut der Bewegung nicht gut.
Unwidersprochen entwickeln die Künstler die Kochszene weiter. Durch neue Ideen, Kombinationen, Methoden…und konnten Naturwissenschaftler mit freien Valenzen dazu bewegen, sich kompetent einzumischen. Die schreibende Zunft erstarrt immernoch vor Ehrfurcht, wenn ein 3 Sterne-Koch stolz und auf Hauptschulniveau (er weiß es nicht besser-und die Schreiberlinge auch nicht) seine neue Laborerrungenschaft, z.B. einen Rotationsverdampfer, mit dem tausende Studenten bestimmter Fächer bereits im ersten Semester hantieren, in einer Erhabenheit erklärt, dass man meinen könnte, ein mehrfacher Nobelpreisträger würde interviewt.
Kurz: ein Konglomerat aus Künstlern, die auch kochen können und kochinteressierten Naturwissenschaftlern, die Phänomene in der Küche erklären und mit geringerer Fehlerquote kombinieren können, schafft Fortschritte in der Küche.
Hier haben wir den Bogen:
Diese Konstellation (Symbiose, Synergie) gibt es in der Bäckerei nur sehr, sehr zaghaft und in Anfängen.
Eine Form der Kunst wird auch bei den Bäckern gepflegt und bepreist:
der Türmchenbau. Schönheit vor Geschmack. In dieser Wunde puhle ich nicht tiefer, weil ich noch länger Umgang pflegen möchte mit verschiedenen Bäckersleuten.
Zu den Anfängen: Aromahefe.
Ein paar findige Lebensmitteltechniker haben sich ein Verfahren patentieren lassen.
Unsere bekannte, normale Bäckerhefe ist optimiert worden, im Hefeteig möglichst viel Blasen in kurzer Zeit zu produzieren.
Geschmack war immer Nebensache. Teiglockerung ist das Ziel. Dabei sollten auch strukturerhaltende Bausteine (Kleberproteine) erhalten bleiben.
Diese Erfinder sagen, dass, wenn man eine Hefe nimmt, die nicht so furchtbar viel CO2 (Blasen im Teig) in so kurzer Zeit produziert, man eine Menge positiver Effekte in den Teig bekommt:
-Aromavorstufen
-Aromen
-Stoffe, die auf natürlichem Weg ganz viele Backmittelzusätze erübrigen.
Fix haben sie auch ein Patent drauf angemeldet.
Interessanterweise auf ein Verfahren, nicht eine Hefe.
Geschützt wird -hier mit meinen Worten, auf’s einfachste reduziert- das Verfahren, mit (Wein-)Hefen, die nur wenig CO2 produzieren, Vorteige für Backwaren herzustellen.
Die Idee dahinter ist eine Trennung/Optimierung der Wege von Aromaentwicklung, Hilfsstoffproduktion (um Zusätze/Chemie zu vermeiden) und Teiglockerung.
Im Vorteig kümmern sich spezielle Kulturen um die Aromen und natürlichen Hilfsstoffe,
im Hauptteig kann die gewöhnliche Bäckerhefe ihrem Trieb nachgehen.
Die Aromahefe ist in einer renommierten Bäckerfachschule mehrfach getestet worden:
Die Dozenten haben irgendwann entnervt die Erfinder gebeten, keine Aromahefe mehr zu schicken, die Ergebnisse überzeugten nicht, die Reste der größeren Packungen wollte keiner der Teilnehmer -nicht mal geschenkt.
Was läuft da falsch?
Fehlt es den Dozenten der Fachschule am Willen, sich auf das Experiment einzulassen?
Richteten sie sich nach den Rezepten der Techniker?
Waren die Techniker möglicherweise auf einem Auge blind?
Und haben in ihrer Überzeugung von der Idee sehr viel Geld für die Patentzulassung gelassen, ohne auf die Praktiker zu hören?
Ich will wissen, was dran ist an diesem Patent.
In meiner Küche bin ich Privatier:
Also ‚ran!
Zwei Hefen im Vergleich:
-meine konventionelle Frischhefe von Uniferm (1%ig)
-Erbslöh Hefix 1000
Die beiden werden nach folgendem Schema geführt:
Für den Vorteig (Poolish) wird 6% Aromahefe/1% normale Frischhefe (Uniferm, jeweils auf das Mehl bezogen) warm angesetzt (32°C) und bei 22°C ca. 20 Stunden inkubiert.
Als Versuchsrezept soll Brotdocs Baguette-Vorlage dienen.
Zusammenfassung für die, die meinen Ausführungen in obiger Breite nicht folgen mochten:
Die Idee des Aromahefe-Verfahrens ist, mehrere, voneinander unabhängige Ziele nicht mehr nur von der Bäckerhefe erledigen zu lassen, sondern die Arbeit auf spezialisierte Fachkräfte zu verteilen.
Die Bäckerhefe soll im Hauptteig weiterhin für den Trieb zuständig sein, im Vorteig hat sie nichts mehr zu suchen. Dort sollen die „Aromahefen“ ihr Werk tun. Sie unterscheiden sich nach der Definition der Erfinder im Wesentlichen dadurch, das sie deutlich weniger CO2 produzieren, dafür relativ mehr andere Stoffwechselprodukte, Aromen, Aromavorstufen, Teigstabilisatoren, Alkohole…
synthetisieren und mit Hilfe dieses Vorteiges dann ein qualitativ besonders aromatisches, hochwertiges Gebäck hergestellt werden kann.
Auch kann auf diese Weise eine Vielzahl von Back(hilfs)mitteln eingespart werden.
Hier noch ein Vergleich des Aromaprofils der Weinhefen auf ihrem natürlichen Substrat http://www.agrar.steiermark.at/cms/dokumente/10936035_11731059/5eca552e/2007%20Hefen_WR.pdf
Ergebnisse:
Die Poolishansätze unterschieden sich in kürzester Zeit voneinander:
-die Uniferm-Mischung roch unauffällig mehlig, breit- wie gewohnt.
-der Aromahefe-Ansatz duftete nach einer guten Stunde fruchtig, alkoholisch, vielversprechend.
Der Unterschied am Ende der Führungszeit war verblüffend deutlich, äusserlich warf die Armoahefe mehr Blasen, war aktiver: sie hat ja auch etwa 20x mehr Hefezellen im Ansatz- man könnte also die Normalhefe etwas höher dosieren.
Auch in den Teigen nach gut 12h waren die Differenzen noch deutlich.
Wiederum der Aromahefe-Teig zeigte die höhere Stoffwechselaktivität, mehr Blasen.
Aufarbeitung, Teigkonsistenz:
keine wesentlichen Unterschiede.
Teigreife:
die geformten Baguettes mit dem Aromateig verloren deutlich schneller an Spannung, hatten eine geringere Gärtoleranz, fraßen schneller ab.
Volumen, Porung der Baguettes:
bei identischer Führung bekam in diesem Fall das Aromabaguette die für mich schönere, gröbere Porung. Heisst aber nix: das bekommt man optimiert auch mit der einfachen Hefe hin.
Kruste:
beide feinknusprig, knisternd beim Brechen, ohne Unterschied.
Aromen der fertigen Gebäcke, Baguettes:
Ja. Beide super.
Ich bilde mir ein, dass das Aromabaguette ein etwas tieferes, blumigeres Aroma verströmt.
Dafür muß man seine Nase allerdings schon ganz schön weit in das aufgerissene Baguette stecken.
Um diese Ergebnisse zu validieren, bekommen die ersten 15 Leser, die per mail bei mir Interesse bekunden, ca. 20g der Aromahefe zugesandt.
Mit der Bitte um Rückmeldung.