wir müssen reden: Vergleich Madre vs Roggensauerteig im Roggenbrot

Vergleich Madre vs Roggensauerteig im Roggenbrot

Heute zweieinhalb Themen von der Kanzel.

Mit meiner unendlichen Leidenschaft des Rumnörgelns fange ich gleich hier an:

1.Sicheres (schlimmer noch: arrogantes) Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit findet sich in einigen FB Backgruppen wieder. Okay.

Was mich verstört ist, dass Profis, Journalisten, Menschen, die ihr Fach gelernt, manchmal sogar studiert haben, verantwortungslos mit ihrem Unwissen hausieren gehen.

Denn es kommt vor, dass ihre Texte gelesen werden- und der gemeine Leser erwartet vom Verfasser des Textes, dass er sich zumindest ausreichend mit der Materie auseinandergesetzt hat und wahrheitsgemäß über das berichtet, was der Texter hoffentlich verstandesmäßig erfasst hat.

Wird diese Machtposition missbraucht oder auch nur fahrlässig mit ihr umgegangen, kann Schaden entstehen, können Existenzen vernichtet werden. Journalist, werde deiner Verantwortung bewusst!

2.Was mir diese Woche auffiel -oder: Hätten Sie’s gewusst?

Von irgendeinem Versand-Anbieter wird eine “Reinzucht-Flüssighefe” als das Nonplusultra in der Brotbäckerei gepriesen. Ohne nachzudenken beisst der eine oder andere Selberbäcker auch an- und die richtigen Experten gehen hin und kultivieren diesen Starter dann mit Apfelsaft aus dem Tetrapack. Um mit diesem besonderen Anstellgut höchst individuelle Gebäcke zu präsentieren.

Ok, lösen wir den Knoten.

Diese Reinzucht-Flüssighefe ist nix anderes als die ganz gewöhnliche Bäckerhefe, die wir in würfelform kennen- in einem Wasser-Stabilisator-Gemisch.

Hier und da in Bäckereien im Gebrauch-mit dem Argument, dass sie sich besser im Teig verteilt. Valide Untersuchungen stehen aus.

Und wenn man eine Reinzuchthefe in einem sterilen Nährmedium (wie z.B. Apfelsaft) vermehrt-hat man tatsächlich am Ende mehr Reinzuchthefe. Man könnte auch einfach ein Schluck mehr von der Flüssighefe nehmen-so teuer ist sie nicht. Oder eben von dem stinknormalen Hefewürfel- gelöst in ein paar Wassertropfen.

Drittes Thema mit bewährtem und mehrfach veröffentlichtem Rezept.

Wahrheiten schmerzen manchmal- bin gespannt, wie lange ich mir die noch antue.

Letzte Woche verglich ich die “Madre di Lugano” mit meinem Stolz- meinem eigenen, Alpenroggen-geführten Sauerteig, den ich hüte.

Den ich mir vor Äonen von Arnd Erbl, dem Freibäcker mitbrachte.

Das ging so

(auf 1kg Mehl im Hauptteig):

80/20 Roggensauerteig-Standard-Brot ohne Schnickschnack, um sauber vergleichen zu können.

Sauerteigansatz 1:

40% Teigversäuerung

416g Wasser 35°C

400g Alpenroggen

16g Madre di Lugano

vermischt, bei 28°C 12h inkubiert (gären lassen)

Sauerteigansatz 2:

40% Teigversäuerung

400g Wasser 35°C

400g Alpenroggen

80g Arnd (mein ASG)

vermischt, bei 28°C 12h inkubiert (gären lassen)

Auffällig: Arnd war frühreif-deutlich schneller fertig als der Madre-Roggensauer.

Für den Versuchsablauf ohne Konsequenzen.

Weiter im Rezept:

800g reifer, aktiver Roggensauerteig (s.o.)

200g Tipo0

400g Alpenroggen

400g Wasser

22g Salz

10min langsam kneten, TT28°C, 20min Kesselgare

auf der Arbeitsplatte 1x zusammenschlagen, 20min Ballengare

Nach Wunsch aufarbeiten. Schelli: vorsichtig-zärtlich, um eine unregelmäßige, für Roggensauerteigbrote ungewöhnlich grobe Porung beizubehalten.

Gut eine Stunde im Gärkörbchen stehen lassen und bei 260°C fallend auf 220°C  für ca. 1h (1,2kg Brotlaib) backen.

Schellis Urteil:

Beide Ansätze hatten vergleichbare Triebkraft, mildsäuerliche Geschmacksnoten und im gebackenen Brot fanden sich waldhonigartiger Duft mit den typischen erdig-grünen Roggenaromen. Durch die Alpenroggen/ Tipo0 Kombination mit einer resultierenden TA von 180 war die Krume feucht und das Brot lange frisch. Mit dem Tipo0 als stabilisierendem Weizen traten (gewollt) die Roggenaromen in den Vordergrund.

Und die vernichtende Erkenntnis: im Blindtest konnte ich die Proben (die fertig gebackenen Brote) nicht sicher unterscheiden.

Fazit: die Versuchsergebnisse lassen sich als ein erster Hinweis deuten, dass die Herkunft der Sauerteig-Starterkultur (Roggen/Weizen/Dinkel) deutlich weniger wichtig ist als die Einhaltung der restlichen Parameter (TT/TA/Fütterungsfrequenz). Für Roggen(misch)brote.

Oder einfach ausgedrückt:

1.Hat man ein mildes, triebiges ASG (Roggen/Weizen/Dinkel) im Kühlschrank stehen, kann man damit über eine Anzuchtstufe hervorragendes Roggen(misch)brot backen, ohne Aromaeinschränkungen befürchten zu müssen.

2.ein aktiver, käuflicher Trockensauer (hier Madre di Lugano) ist in der Lage, innerhalb kürzester Zeit (16h) Roggensauerteigbrote ohne Qualitätseinbußen als reine, hefefreie Sauerteigbrote auf den Tisch zu bringen.

3. der eigene, hochwertige Sauerteigansatz kann sehr schnell, einfach und sicher mit einem solchen Pülverchen zubereitet werden. Individualisierung des “eigenen” Sauerteiges erfolgt dann in den nächsten Vermehrungsstufen durch Variation der Führungsparameter.

4. Solch ein Fertigpülverchen kann über Parallelversuche helfen, die Qualität der eigenen Kultur zu beurteilen.

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