Sauerteig: JETZT! …dem Schelli sein Hammerbrot.

Aktuell laufen die postings aus Weinheim zum Thema „Deutschlands bester Bäcker“ und die vom ZDF veröffentlichte Liste der 72 Hoffnungsträger reíhenweisen in mein Mailfach. Ist die deutsche Brotlandschaft wirklich so schlecht, wie diese Liste suggeriert? Eins meiner liebsten Hobbies ist, in mir unbekannten Bäckereien Brot und manchmal auch einfachen Kuchen zu kaufen -aus diesem Grund  und weil ich in Deutschland kreuz und quer besuchenswerte Orte, Freunde, Bekannte habe- kenne ich die Machwerke einiger der Teilnehmer. Zwischen den aufgelisteten Bäckern finden sich immense Leistungsunterschiede- mancher treibt mir die Tränen der Verzweiflung in die Augen. Einen Betrieb mit so viel Ignoranz und fehlender Selbsteinschätzung zu betreiben- und sich damit an die ganz große Öffentlichkeit zu trauen- kein Kommentar. Bezeichnend auch, dass die deutsche Bäckerschaft einen Johann Lafer als Zugpferd vorspannt. In Frankreich wird Backkultur gepflegt- neben der Kocherei, etwas leiser, aber sehr selbstbewusst und nicht auf fremd-pseudo-Kompetenz angewiesen. Stell Dir vor, Dein Friseur beurteilt die Qualität Deiner Kleidung  in aller Öffentlichkeit. Da kann nix Gutes bei ‚rumkommen. Die Bäcker hoffen, es gibt eine Abkürzung zu Erfolg & Aufmerksamkeit. Nö. Fehlanzeige. Weder in der Brotkunst noch sonstwo. (ok, „die Bäcker“ ist schon sehr verallgemeinernd, ich sehe auch Licht…;))

Zugegeben, vom Fußball versteh‘ ich nix- dennnoch, die Prinzipien, guten Fußball zu kultivieren leuchten sofort ein! Man hat irgendwann nach einer Desaster-WM angefangen (vor rund 20 Jahren) junge Talente zu suchen und zu fördern, sehr sehr konsequent Geld und Energie in Ausbildung, Training, Forschung gesteckt und war nach einer harten, langen Tour erfolgreich. Warum glauben die Bäcker, ihnen bliebe dieser Weg erspart? Warum gibt es  Leute  in dieser Zunft, die meinen, mit auf einem fahrenden Pickup geschnallten Ofen mit zwei smarten Bäckern, ebenfalls angeschnallt, die deutsche Brotwelt retten zu können? (Ich rede von den „Wild Bakers“) Weil’s der einfachste Weg ist. Ich selbst muß nix tun. Aber es gibt Hoffnung. Vereinzelt  verachten richtig gute Bäcker die Seilschaften der Zunft, die völlig überfordert von den Herausforderungen der Zeit nur noch versuchen, die eigenen Pfründe zu retten.  Die ihre eigenen, ungeeigneten Söhne nicht nur in der Bäckerei als Nachfolger sehen, sondern am besten auch noch im eigenen Stand politisieren lassen…Angst haben vor neuen Ideen und vor Idealisten, motivierten Quereinsteigern, die zuerst mit dem Kopf  versuchen, Hürden zu nehmen und mit deren Blockade dem wunderbaren Handwerk das Grab bereiten. Gute Bäcker, Bäcker mit Qualitätsanspruch aller Länder, vereinigt euch! Ich bin kein Bäcker, deshalb darf ich das schreiben. 🙂 Critic-who needs them- I wonder who reads them…beside us… Nächste Woche bin ich in Richemont, meine Sauerteigkenntnisse zu vertiefen…schließlich läuft bald (Buchungen über Lutz) unser erster Sauerteigkurs  in Berlin und die Teilnehmer saugen mich regelmäßig aus- dass ich auf allen Vieren ins Hotel krieche…gut, dass mich in dieser Situation noch niemand photographiert hat. Ausserdem wollte ich immer schon das Niveau Weinheims mit dem Richemonts vergleichen… …und Freunde sind dabei-Extremisten-auf die ich mich riesig freue! Aber zum angekündigten Thema: Mein neues Roggensauer-Hausbrot.

Zunächst zum Rezept:

300g Poolish:

150g Wasser
0,2g Hefe, alternativ 1g Aromahefe (z.B. 2g Frischhefe in 1,5 Liter Wasser lösen, davon die gewünschte Menge verwenden)
150g  T80 frz. Weizenmehl

12 bis 30h bei ca. 20°C stehen lassen.

hochaktiver1370er Roggen- Sauerteig:

Roggensauer-Kultur mehrfach (2-3mal) füttern und bei ca. 30°C kultivieren.

Aus der aktiven Kultur 70g entnehmen und den Sauerteig bereiten:

700g  (350g Wasser/350g Roggenmehl1370/70g Anstellgut, homogen verrühren)

12h bei 30°C stehen lassen. Der Teig baut ab, der Aktivität tut das noch keinen Abbruch…

Hauptteig:

die Vorteige mit 250g  30°C warmem Wasser mischen-homogenisieren

500g 1370er Roggenmehl
23g  Salz
12g Didi-Spezial-Gewürzmischung,  
4g Bockshornklee,
3g Fenchelsamen und
3g Kümmelzerstossen

dazu, 7min langsam, 2min schnell mischen, kneten.

20min ruhen lassen.

2 Laibe grob vorformen, evtl. mit der Didi-Schüttel-Methode direkt im Gärkorb. Dabei wird der Teigling im bemehlten Gärkorb etwas hochgeworfen und dabei leicht gedreht. Es entsteht sehr schonend eine regelmäßige Brotform. Damit hab‘ ich -auch bei länglichen Broten- ausgezeichnete Erfahrungen.

Mit gemörserter Kümmel-Fenchelsamen-Mischung bestreuen, abschliessend Fleur de Sel nach Geschmack aufbringen, etwas festdrücken. Im Gärkörbchen durch hochwerfen gekonnt drehen-dass die Gewürzmischung unten liegt- oder beim Einschiessen wenden-Ziel: die Gewürzkruste bildet die Brotoberfläche. Im letzten Fall sollte während der Stückgare das Brot abgedeckt bleiben, um Austrocknung zu verhindern.

Stückgare: je nach Fitness des Anstellgutes 1,5 bis 2,5 Stunden.

Backen:

250°C, ca. 45min auf Stein. Wegen der Gefahr, ein Plattbrot zu backen, auf Schwaden verzichten und mit guter Unterhitze den Ofentrieb optimieren. Gute Ergebnisse als Topfbrot.

Schellis Urteil:

1370er Roggensauer mit 1370er Mehl gibt dem Brot wunderbar komplexe Waldhonig-Roggenartige Aromen, Didis anislastige Gewürzmischung hab‘ ich mit Kümmel, Fenchel und Brotklee eine andere Richtung gegeben. Die Porung wird durch T80-Poolish beeinflusst. Sie ist deutlich grobporiger, wilder-schellilike, weil das Gas durch den geringen Weizenanteil besser gehalten wird. Also lockerer als ein 100%-Roggenbrot, mit einem perfekt harmonierenden T80-Poolish. Minimaler Hefeeintrag über die Poolishkomponente fällt nur physikalisch auf: die Porung sieht nach Hefeunterstützung aus, geschmacklich etwas milder, runder. Interessanter Gedanke übrigens: Hefe hat in Roggenbroten immer eine nennenswerte Triebkomponente-in diesem Rezept eindeutig nicht!

Ewig lang aromatisch. Läuft freigeschoben mit einer TA von 175 für den deutschen Konsumenten etwas breit.

Zum niederknien. Ich liebe es.

Warum ausgerechnet jetzt Sauerteig? Weil er ohne jede technische Hilfe wie verrückt funktioniert. Liegt an den Aussentemperaturen… 😉   Abschliessend  stelle ich noch auf die vielfachen Wünsche eines einzelnen Lesers meine Sauerteigkulturwerkstatt vor: Die Kulturen werden- um gleichbleibende Qualitäten zu gewährleisten- in der Styroporbox gehalten, mit einer Warmwasserheizung: 5l, 40 °C, die Kulturen kommen mit 30°C in die Box. Die Temperaturentwicklung ist in der Graphik zu sehen, auch die Teigentwicklung ist festgehalten. Wer sie nicht lesen mag: Die Temperatur des Sauerteiges fällt unter diesen Bedingungen über 12 Stunden  nur um 3°C auf 27°C. Die Wassertemperatur des Wärmespeichers hat am Schluß der Meßreihe 29°C.

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